Kategorien
Kolumne

Warum wir Podcasten…

Es ist das Zeitalter der Podcasts. Jährlich steigen die Zahlen der Schweizer*innen, die dieses auditive Format des «Infotainments» mindestens einmal im Monat nutzen (Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft, 2020). Ich selbst bezeichne mich als chronischen Podcast-Hörer, wobei mich insbesondere die verschiedenen theologischen Formate der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart überzeugt und in ihren Bann gezogen haben. Offengestanden muss ich mich als echten Fanboy des einen oder anderen Podcast outen. Die Ungeduld, bis ich die neue Folge hören kann, lässt kaum einen anderen Schluss zu. Nicht selten bekommen Freunde und Familie dann meine Begeisterungsströme ab und müssen irgendwie damit klarkommen, dass ich sie dazu dränge, sich eine (gut und gerne auch einmal an die zwei Stunden dauernde) Podcast-Folge reinzuziehen. All jenen, die bei derartigen Erzählungen so gar nicht resonieren können und sich bei diesen Zeilen ganz viele Fragen stellen, sei die eine oder andere Hörprobe aus Podcasts wie «Das Wort und das Fleisch», «Karte und Gebiet – Ethik zum Selberdenken», «Worthaus», «Hossa Talk», «Ausgeglaubt», «Mindmaps», «Movecast» oder «Fluide Kirche» (um nur einige zu nennen) gegönnt.

Bei all diesen Angeboten, die es an Qualität ebenso wenig vermissen lassen wie an Veröffentlichungsfrequenz und Länge der einzelnen Folgen (da reicht auch die tägliche Zugfahrt von Basel nach Zürich und zurück nirgendwo hin), muss die Frage erlaubt sein: Warum, liebe Streetchurch, wollt jetzt auch IHR Podcasts aufnehmen und unter die Leute bringen? Passt das zu eurem Auftrag? Ist das wirklich nötig?  

Nun, die Frage ist natürlich berechtigt, aber… So viele grossartige auditive Projekte es gerade auch in der christlich-spirituellen Podcast-Welt gibt; einen Podcast, der aus der Mitte des gemeinsamen Lebens und Kircheseins ein Gespräch auf der Grundlage konkreter Begegnungen und Erfahrungen des Leben Feierns und vorwärts Stolperns entwickelt, ist mir bis heute nirgendwo begegnet. Und genau da haben wir unseren USP erkannt. Die Mission der Streetchurch heisst «Versöhnung leben». Unsere Vision ist es, dass dadurch Menschen «nach Hause kommen» können. Tisch-, Dienst- und Glaubensgemeinschaft mitten im Kreis 4 in Zürich. Kirche nahe bei und mit den Menschen, insbesondere mit denen, die um ihre Brüchigkeit und Zwiespältigkeit wissen und ihr Scheitern regelmässig vor Augen geführt bekommen. Dieses Beziehungsgeschehen prägt unseren Alltag, unsere Kultur, unser Weltbild und unseren Glauben an Gott. Es verändert die Art, wie wir über das Kirchesein denken und sprechen. Und ja, am Ende des Tages werden auch wir selbst dadurch verändert. Darum wollen wir darüber sprechen. Und darum machen wir Podcasts. Unser Wunsch ist es, dass unsere Hörer*innen einen Einblick erhalten in diese Welt und vielleicht da und dort eine Anregung für ihr eigenes Leben und Handeln mitnehmen können.  

Kategorien
Fachartikel

Top4Job: Beziehungsorientiert zu neuen Perspektiven.

Für viele Jugendliche ist der Schritt aus der obligatorischen Schulzeit in eine zertifizierende berufliche Grundausbildung mit erheblichen Herausforderungen verbunden. Die Zahlen und Statistiken variieren, aber man kann festhalten: Es sind nicht wenige, die beim Übertritt an der Nahtstelle zwischen Sekundarstufe I und II ohne Ausbildungsplatz bleiben. Neben beruflichen Orientierungsschwierigkeiten sind es oft fehlende psychosoziale Ressourcen in mehreren Lebensbereichen und schwierige familiäre Verhältnisse, welche den erfolgreichen Eintritt ins berufliche Leben erschweren.

Neuere Forschungsergebnisse zeigen ausserdem, dass in vielen Fällen Selektionskriterien eine relevante Rolle spielen, die im bildungspolitischen Diskurs wenig Erwähnung finden. Es sind dies Faktoren wie die soziale Herkunft, das Geschlecht und die Unterstützung durch Elternhaus und Schule. Faktoren also, die sich mit dem Postulat der strukturellen Chancengleichheit nicht vereinbaren lassen und demnach keine Rolle spielen dürften, es aber im Endeffekt trotzdem tun – mit erheblichen Konsequenzen für die betroffenen Jugendlichen. Bleibt eine Anschlusslösung nach der obligatorischen Schulzeit zunächst aus, wird die Chance, in eine zertifizierende Berufsusbildung einzutreten und diese erfolgreich abzuschliessen, substanziell reduziert.

An dieser Stelle setzen Brückenangebote und Berufsvorbereitungsmassnahmen wie das Trainingsprogramm «Top4Job» der Streetchurch an. «Top4Job» bietet jungen Menschen zwischen 15 und 25 Jahren, die den Einstieg in die Berufswelt aus diversen, oft multifaktoriellen Gründen, bisher nicht gefunden haben, eine niederschwellige und ganzheitliche Tagesstruktur mit individueller Unterstützung und Hinführung an den ersten Arbeitsmarkt. Ziel ist es, die Teilnehmerinnen in eine Lehre, ein Praktikum oder eine feste Arbeitstelle zu integrieren. Dies geschieht durch die Förderung der Lebenskompetenzen, insbesondere der Arbeits-, Selbst- und Sozialkompetenzen. Die Teilnehmerinnen gehen auf Arbeitseinsätze im Bereich Reinigung und Unterhalt und besuchen die Bildung, wo sie sich ihrem Berufswahl- und Bewerbungsprozess und der Weiterentwicklung ihrer schulischen Fähigkeiten widmen sowie an Modulen zu allgemeinen Lebenskompetenzen teilnehmen und mitwirken.Ausserdem können psychologische und sozialarbeiterische Beratung in Anspruch genommen und so psychosoziale Ressourcen (Wohnsituation, finanzielle Sicherheit, physische und psychische Gesundheit) gestärkt werden.

Ein interdisziplinäres Team aus den Bereichen Sozialberatung, Agogik, Andragogik und Psychologie begleitet die jungen Menschen professionell und ressourcenorientiert. Die Erfahrung zeigt, dass dieser holistische Ansatz und der Fokus auf die Beziehungorientierung, eine wichtige Grundlage für gelingende Veränderungsprozesse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen darstellt. Beziehungsorientierung heisst für uns auch ein bewusstes Angebot zur Gemeinschaft. Dies zeigt sich beispielsweise im spontanen Austausch beim Mittagessen, in ausserprogrammlichen Angeboten, wie dem wöchentlichen Sport in einer nahegelegenen Turnhalle, aber auch in der Bereitschaft, auch ausserhalb der Angebotszeiten für Anliegen und Gespräche verfügbar zu sein. Das alles geschieht bedacht und achtsam und im Wissen, dass mancher Professionalisierungsdiskurs davor warnt.

Immer wieder erleben wir, wie lohnenswert dieser Weg ist und dass junge Menschen mit schwierigen persönlichen Geschichten und Mehrfachproblematik, unter anderem dadurch ihre Motivation wiederfinden, sich auf einen Veränderungsprozess einlassen und so handlungsfähig werden und gelingendes Leben entdecken. Eine Teilnehmerin hat kürzlich erklärt, sie komme nicht nur für die Arbeit und ihre persönlichen Integrationsziele in die Streetchurch, sondern habe hier auch ein zweites Zuhause gefunden. Ich bin der Überzeugung, dass eine solche Atmosphäre des «nach Hause kommens» die perfekten Rahmenbedingungen für junge, entwurzelte Menschen schafft und sie ermutigt und befähigt, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen und mit neuer Perspektive ihre Ziele zu verfolgen.

Kategorien
Fachartikel

Ausbildungsbegleitung: Weil 20% Lehrvertragsauflösungen zu viel sind.

Ein gelingender Übergang von der Schule ins Berufsleben stellt für viele junge Menschen eine grosse Herausforderung dar. Insbesondere an der Nahtstelle zwischen den Sekundarstufen I und II stossen viele Jugendliche auf erhebliche Schwierigkeiten. Rund 20% der Jugendlichen und jungen Erwachsenen bleibt der direkte Übergang in die berufliche Grundbildung verwehrt.[1]

Dass die Suche nach dem richtigen Lehrberuf und dem passenden Ausbildungsbetrieb für viele junge Menschen ein steiniger Weg ist, erlebe ich im Berufsvorbereitungsprogramm «Top4Job» der Streetchurch täglich. Absage folgt Absage, Misserfolg folgt Misserfolg. Manche Betriebe geben auf die per Mail oder Lehrstellenplattform eingereichte Bewerbung nicht einmal eine Antwort. Dass da die Frustration bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen wächst und die Hoffnung der Perspektivlosigkeit weicht, ist mehr als nur verständlich. Klappt es dann irgendwann doch noch mit der Lehrzusage, ist das natürlich ein Grund zum Feiern. Und doch: Ein unterzeichneter Lehrvertrag in der Tasche ist noch kein Garant dafür, dass der Lehrabschluss nach zwei (EBA), drei oder vier (EFZ) Jahren auch tatsächlich gelingt. Schweizweit wird jährlich mehr als jeder fünfte Lehrvertrag vorzeitig aufgelöst.[2] Bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund ist es gar jeder vierte. Gewisse Branchen verdienen sich dabei keine guten Noten. So wird durchschnittlich mehr als jede dritte (!) angefangene Coiffeurlehre vorzeitig aufgelöst.

Die Gründe sind, wie so oft, vielschichtiger Natur. Nicht selten spielen schwierige Familiensysteme und fehlende Unterstützung von Seiten der Eltern eine wesentliche Rolle.[3] Diese Unterstützung ist insbesondere bei der beruflichen Orientierung von entscheidender Bedeutung. Wo sie fehlt, droht den betroffenen Jugendlichen in der Berufswahl die Überforderung und demnach die berufliche Orientierungslosigkeit. Denn die Lehrpersonen in der Sekundarschule vermögen vieles, aber eine Klasse mit 20 und mehr Schülerinnen und Schülern individuell in der Berufswahl und im Bewerbungsprozess zu begleiten, ist eine Herkulesaufgabe. Neben der zu wenig tiefen Auseinandersetzung mit der Berufswahl sind psychische Belastungen ein entscheidender Faktor für Lehrvertragsauflösungen [4]. Unsere Erfahrung zeigt zudem, dass auch zwischenmenschliche Probleme mit dem/der Berufsbildner*in und branchen- oder betriebsbezogene Missstände in der Berufsbildung immer wieder Grund für das frühzeitige Beenden einer Ausbildung sind.

Um junge Menschen, die unter anderem vom Berufsvorbereitungsprogramm «Top4Job» in eine Lehre einsteigen, mit diesen Herausforderungen nicht allein zu lassen, begleiten und unterstützen wir sie seit einigen Jahren auch während der Ausbildung nach ihrem individuellen Bedarf. Im Sommer 2020 haben wir diese Nachbetreuung noch einmal professionalisiert, konzeptionell überarbeitet, Workshops mit Lernenden und Fachleuten durchgeführt, sowie Ausbildungsbetriebe und Ämter befragt. Als Ergebnis dieses Prozesses ist das Angebot «Ausbildungsbegleitung» entstanden. Angelehnt an das Konzept der «Supported Education» begleiten wir die jungen Menschen während ihrer Ausbildung durch ein Jobcoaching. Der Job Coach unterstützt die lernende Person bei arbeitsbezogenen Fragen und im Umgang mit Stress und Konflikten, fördert die Zusammenarbeit mit dem Ausbildungsbetrieb und berät den/die Berufsbildner*in bei anstehenden Fragen und Schwierigkeiten. Neben dem Jobcoaching umfasst die Ausbildungsbegleitung ein Case Management und kann durch ein berufsschulergänzendes Lerncoaching sowie eine psychologische Begleitung und Beratung ergänzt werden. Die Prinzipien, die uns dabei leiten, sind dieselben, die unserer Arbeit auch in anderen Angeboten zugrunde liegen: Beziehungsorientierung, Individualität, Ganzheitlichkeit und Langfristigkeit.

Auch wenn diese Begleitung den Abschluss der Berufslehre nicht garantiert: Ich bin überzeugt, dass viele junge Menschen dadurch die Unterstützung erhalten, die sie brauchen, um erfolgreich durch die Ausbildung zu kommen und im Anschluss daran im Erwerbsleben Fuss zu fassen. Es ist mir deshalb ein grosses Anliegen, dass dieses Angebot an Bekanntheit gewinnt und sich so auch die Quote der erfolgreichen Lehrabschlüsse und Berufseinstiege verbessern darf.


[1] Landert, Charles & Eberli, Daniela (2015): Bestandsaufnahme der Zwischenlösungen an der Nahtstelle I. Bericht. Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI).

[2] Bundesamt für Statistik (2019): Lehrvertragsauflösung, Wiedereinstieg, Zertifikationsstatus. Resultate zur dualen beruflichen Grundbildung (EBA und EFZ).

[3] Duc, Barbara; Lamamra, Nadia; Lovirc, Ivana & Mellone, Valeria (2013): Lehrabruch – was nun? Eidgenössisches Hochschulinstitut für Berufsbildung (EHB IFFP IUFFP).

[4] Sabatella, Filomena & von Wyl, Agnes (2017): Supported Education in der Schweiz. Hilfe für junge Erwachsene beim Übertritt in das Berufsleben. ZHAW, Angewandte Psychologie.