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Kolumne

Churchstreet

Mit «Kirche» wird in unserer Stadt reflexartig der Kirchenraum, der Gottesdienst oder die Institution verbunden. Alle drei wandeln sich: Der Kirchenraum in der Innenstadt öffnet sich Hunderttausenden, die hineinströmen und irgendwie verändert hinausgehen. Der Gottesdienst wandert vom Sonntagmorgen weg hin zu Abend oder Morgen, Wochentagen oder Geburtstagen. Und die Institution der 34 Kirchgemeinden in unserer Stadt wandelt sich zur grössten einen Kirchgemeinde in Europa.

Die Gruppe von jugendlichen Täufern aus Amerika, von Freiwilligen aus Schwamendingen, die am Samstagmittag das Grossmünster besuchen und spontan um den Taufstein zusammenstehen, beten und singen, während die Masse von Asiaten und die paar versprengten Reformierten erstaunt und irritiert dastehen, das ist «Kirche» in den 10er-Jahren dieses Jahrhunderts.

Die Streetchurch ist ein Kind dieses Wandels und setzt noch einen drauf. Nicht nur wird der Alltagsraum im Hinterhof des Hauses jeden Mittwoch zum Sakralraum junger «Kirche», nicht nur wird der Monolog der Predigt des Einen zum Dialog untereinander, nicht nur verflüssigt sich die Institution zugunsten des Inhalts vom geteilten Leben miteinander – nein, die Kirche drinnen im Haus an der Badenerstrasse drängt hinaus auf die Strasse.
Streetchurch wird zu Churchstreet, die Strassenkirche zur Kirchenstrasse. Es sind drei Kräfte, welche die Streetchurch auf die Strasse ziehen und so die evang.-ref. Kirche sichtbar machen draussen vor den Türen der «Kirchen» unserer Stadt:

Blick nach draussen: Die sauberen Jungs machen die Fenster von Jung und Alt in den Gassen unserer Stadt sauber. Der Blick beim Putzen ist der Blick nach draussen, nicht der Blick nach drinnen. Der Blick nach draussen ist es, der nach draussen zieht. Seit 15 Jahren steht die Streetchurch dafür ein, all das, was den Blick nach draussen verstellt oder vernebelt, wegzuräumen. Was Ulrich Zwingli vor 500 Jahren drinnen im Grossmünster gemacht hat, machen die Jungs und Mädels heute draussen auf der Strasse: Der vom Altar leere Kirchenraum entspricht den vom Dreck gereinigten Fenstern. Das Beten drinnen und das Helfen draussen sind die zwei Seiten derselben Medaille, Liturgie und Diakonie treffen sich im Blick nach draussen auf die Strassen.

Religiös: Wer im Haus der Diakonie der Streetchurch ein- und ausgeht, zieht in Gottes Namen die Strasse ins Haus und baut das Haus auf die Strasse. Dieses Bauen an Gottes Welt in unserer Stadt geschieht nicht ausschliesslich reformiert, auch nicht exklusiv christlich. Da kommen Kulturen und Religionen zusammen, Kinder und Alte, Suchende und Irrende, Möchtegerns und Gernnochmehrs. Konstitutiv für die Identität, reformiert unterwegs zu sein, ist das Miteinander von Christen untereinander und Christen mit Muslimen, Juden, Atheisten und Budd-
histen. Das Haus der Diakonie ist Forschungslabor für die Entwicklung von religiöser Erfahrung mit sozialer Verantwortung.

Sprachenvielfalt: Wer auf die Strassen von Zürich gezogen wird, hört ein Stimmengewirr von unendlich vielen Sprachen, sieht Gesten, Signale und Zeichen. Kirchen muss es besonders auf den Strassen wohl sein, denn im Stimmengewirr der vielen Menschen hören sie begeistert die Stimme Gottes. In der Streetchurch werden viele Sprachen gesprochen, es entsteht jeden Tag eine Kirche, die auf den Mund der Menschen auf der Strasse sieht. Auch das ist reformiert.

Der Blick nach draussen öffnet das Fenster zur religiösen Erfahrung, die durch das Stimmengewirr vieler Sprachen und auch schweizerdeutscher Sprache vom Geist durchgewirbelt, erneuert und transformiert wird. Dieser Geist ist der Geist, der in Gottes Namen Kirchengebäude umnutzen und Kirchen wegziehen lässt von fest verankerten Häusern hin zu neuen Orten mitten in den Strassen und Adern von Zürich.