Unser Pfarrer, Markus Giger, hat mit Radio Life Channel darüber gesprochen, wie er Kirche versteht. Ein spannender Einblick in das, was uns als Streetchurch seit fast 20 Jahren prägt und herausfordert.
https://radio.lifechannel.ch/menschen/geschichten/talk/kirche-wie-jesus-sie-gemeint-hat/
Autor: Streetchurch
Wer bist du und was machst du in der Streetchurch?
«Ich bin Matthieu und habe im Sommer meine Lehre zum Koch abgeschlossen. Vor dieser Lehre war ich 2 Jahre in der Streetchurch, da ich meine erste Lehrstelle verloren und viele private Probleme hatte. Mir wurde gesagt, dass mir hier geholfen wird… und es wurde mir geholfen.»
Das Motto der Streetchurch ist «Love can do it», was heisst das für dich?
«Das Gefühl, willkommen zu sein.
Auch wenn man in der Vergangenheit falsche Entscheidungen getroffen hat, wird man hier gut behandelt. Man kann ehrlich sein und es wird einem geholfen. So kommt man langsam aus dieser Spirale raus.»
Ich träume davon, dass in den nächsten drei Jahren…
«Die grössten Träume habe ich schon erreicht: Lehre abgeschlossen, meine Finanzen im Griff, das Privatleben läuft gut. Was will man da noch mehr? Da träume ich höchstens noch davon, in ein paar Jahren eine Familie zu gründen.»
Im Streetchurch-Alltag ist vieles Beziehungsarbeit.Was denken Personen aus der Zielgruppe über Mitarbeitende und umgekehrt?
Wir haben mit Vanessa (links) und Norina (rechts) gesprochen. Vanessa (26) kam vor vier Jahren auf der Suche nach einer Lehrstelle in die Streetchurch. Norina (34) startete vor zwei Jahren ihr Praktikum als Sozialarbeiterin FH. Beide schliessen ihre Ausbildung bald ab. Vanessa geht gern und regelmässig ins Fitness-Center. Norina joggt und treibt allgemein gern Sport.
Vanessa über Norina
«Ich kam per Zufall in die Streetchurch. Ich hatte ein Inserat in einer Gratiszeitung gesehen. Nach drei Jahren erfolgloser Suche, brauchte ich Hilfe bei der Suche nach einer Lehrstelle. In der Streetchurch bekam ich dafür Unterstützung und eine Struktur.
Norina lernte ich erst später kennen. Ich war bereits in der Lehre, kam aber weiterhin regelmässig zu Terminen in der Streetchurch. Plötzlich arbeitete sie an der Kaffeebar und ich fand sie von Anfang an sehr sympathisch. Sie war hilfsbereit und ihre Herzlichkeit war grossartig.
Nachdem wir an einem Event der Streetchurch zusammengearbeitet haben, hat mich Norina zu einer Frauengruppe eingeladen. Da tauschen wir uns über Gott und die Welt aus und diskutieren gemeinsam. Alle bringen dabei ihre eigenen Themen mit und wir leben Gemeinschaft.
So fand ich in Norina eine weitere Bezugsperson, mit der ich mich austauschen kann. Ich kann viel von ihr und ihrem eigenen Weg lernen und sie fast alles fragen. Sie ist eine vertrauensvolle Person und sehr fürsorglich.
Bis heute gibt mir die Streetchurch so Halt. Oft habe ich mich allein gefühlt. In der Streetchurch ist Leben. Man kann so kommen, wie man ist – auch rebellisch – und bekommt Unterstützung.
Im Sommer 2020 schliesse ich meine Lehre als Köchin EFZ ab. Mein Traum ist es, später mal als Ernährungsberaterin zu arbeiten.»
Norina über Vanessa
«Am Anfang kannte ich Vanessa nur von einzelnen Begegnungen an der Kaffeebar in der Streetchurch. Sie fiel mir aber sofort als herzliche Person auf.
Als wir gemeinsam für den Neujahrsapéro beim Gemeinderat Zürich in der Streetchurch-Küche mithalfen, lernten wir uns besser kennen. Beim gemeinsamen Arbeiten kamen wir miteinander ins Gespräch. Es fanden plötzlich auch ernste und persönliche Themen Raum.
Daraufhin habe ich Vanessa zu unserer Frauengruppe am Freitagabend eingeladen. Da treffen wir uns regelmässig und kommen miteinander ins Gespräch. Dort schätze ich ihre Ehrlichkeit und Offenheit. Sie gibt auch preis, was sie beschäftigt und spricht nicht lang drum herum. So entsteht Vertrauen. Das gibt eine Basis.
Mit Vanessa bin ich gemeinsam unterwegs. Ich erfülle nicht einfach einen Job oder eine Aufgabe. Wir tauschen uns beide aus, wie es uns geht und wo wir aktuell dran sind.
Solche Gemeinschaft schätze ich in der Streetchurch enorm. In der Begegnung mit Vanessa kann ich auch selbst wachsen und mich besser kennenlernen. Es geht nicht nur um sie, sondern auch um mich selbst und meinen eigenen Prozess.
Meine Ausbildung zur Sozialarbeiterin FH habe ich fast abgeschlossen. Neu übernehme ich in der Streetchurch als WG-Coach Verantwortung. Was die Zukunft darüber hinaus noch bringt, das wird sich weisen.»
Junge Menschen müssen beim Übergang vom Jugendalter ins Erwachsenenleben komplexe Herausforderungen meistern: Berufsfindung und Ausbildung, Ablösung von den Eltern, Umgang mit Geld, persönliche Administration, Identitätsentwicklung – und vieles mehr.
Gründe, an einer oder mehreren dieser Herausforderungen zu scheitern, gibt es viele. Die Erfahrung in der Streetchurch zeigt, dass häufig komplexe familiäre Situationen und psychosoziale Belastungen dazu beitragen. Konflikte, Kündigungen, unbefriedigende Wohnsituationen, Resignation in der persönlichen Administration, Konsum von Suchtmitteln, geringer Selbstwert – meist bringt eines dieser Themen einige weitere mit sich.
In der Streetchurch begleiten Sozialarbeitende junge Erwachsene bei diesen Herausforderungen. Dies im Rahmen unseres Angebots Sozialberatung oder in den Angeboten Top4Job und Begleitetes Wohnen, in denen sie als interne Case Manager und Case Managerinnen fungieren. Dabei wird die kooperative Zusammenarbeit zwischen internen und externen Fachpersonen koordiniert und initiiert. Als verlässliche Bezugspersonen geben die Sozialarbeitenden den jungen Erwachsenen Orientierung, Sicherheit und entwickeln mit ihnen neue Perspektiven. Die Richtung bestimmen die jungen Erwachsenen individuell. Die Sozialarbeitenden bieten einen Werkzeugkoffer an Methoden und Fachwissen, der die Zielerreichung unterstützt. Dieser besteht dabei nicht nur aus fachlichem Rat, sondern auch aus Ermutigung und Begleitung – praktisch und konkret.
Auch junge Menschen wollen nicht einfach als Klient und Klientin oder Fallnummer abgehandelt werden. Sie wollen gesehen und gehört werden. Zeigen die Sozialarbeitenden echtes Interesse und investieren sie in die Beziehung, erleben wir es häufig, dass junge Menschen sich öffnen und sich ermutigt fühlen, auch an Schwächen zu arbeiten. Von den Fachpersonen in der Streetchurch fordert dies immer wieder den Entscheid, sich voll und ganz auf den Menschen einzulassen, auch wenn er oder sie sich mit ihrem Verhalten sträubt. Nahe am Menschen finden sich so im gemeinsamen Unterwegssein individuell zugeschnittene Lösungen.
In der Schweiz verfügen wir durch Sozialversicherungen und die Sozialhilfe über ein Netz, das soziale Sicherheit ermöglicht. Für manche unserer Klienten und Klientinnen stellen bereits die damit geforderten Formalitäten eine Hürde dar und sie scheitern an der Selbstorganisation oder an mangelndem Selbstvertrauen. Andere sind sogenannte Care-Leaver und seit Jahren in Kontakt mit Fachpersonen. Erfahrungsgemäss ist deren Kooperationsbereitschaft insbesondere gegenüber Amtspersonen häufig klein. Die Fachpersonen der Streetchurch nehmen dabei eine vermittelnde Rolle ein, indem sie den jungen Erwachsenen auf der Beziehungsebene ihre Würde zusprechen sowie schwierige Schritte gemeinsam in Angriff nehmen und bewältigen. Die kooperative Zusammenarbeit mit internen und externen Fachpersonen ist dabei ein wichtiges Hilfsmittel. Damit können die Aufgaben geklärt, Synergien genutzt und Doppelspurigkeiten vermieden werden.
Ein grosser Stellenwert hat in der Streetchurch die nachhaltige Veränderung. Die Praxis zeigt, dass diese nur gelingen kann, wenn die Menschen ganzheitlich erfasst und unterstützt werden. Je nach Ausgangslage braucht dies Zeit und Vertrauen. Doch nur auf einem stabilen Fundament kann nachhaltig aufgebaut werden.
Photo by Steven Lelham on Unsplash