Dynamik und Komplexität im Alltag bewältigen. Als Streetchurch befinden wir uns auf dem Weg zur agilen und evolutionären Organisation.
Seit 15 Jahren engagieren wir uns als Streetchurch im multikulturellen und urbanen Umfeld des Grossraums Zürich. Wir begegnen und begleiten tagtäglich Menschen, die in verschiedenen Lebensbereichen vor grossen Herausforderungen stehen. In diesem Kontext erleben wir ganz besonders, was allgemein für die heutige Welt gilt: Dynamik und Komplexität nehmen auf allen Ebenen zu. Schnelle und kurzfristige Veränderungen, Unsicherheiten und fehlende Klarheit, Doppel- und Mehrdeutigkeiten sowie Unvorhersehbares und zu viele Einflussfaktoren müssen im Alltag unter einen Hut gebracht werden. Darauf eine Antwort zu finden, fällt nicht nur den Teilnehmenden unserer Angebote schwer. Als ganze Streetchurch sind wir gefordert. Die Antwort auf diese Herausforderungen heisst Agilität. Der Duden definiert sie als «die Fähigkeit … flexibel, aktiv, anpassungsfähig und mit Initiative in Zeiten des Wandels und der Unsicherheit zu agieren». Ein hoher Anspruch an uns als Organisation, unsere Mitarbeitenden und alle unsere Ziel- und Anspruchsgruppen.
Der belgische Unternehmensberater Frederic Laloux illustriert in seinem Buch «Reinventing Organizations» einen Leitfaden für sinnstiftende und agile Formen der Zusammenarbeit. Er zeigt auf, wie Organisationen als lebendige Organismen mit agilen Strukturen, agilen Prozessen und ganz allgemein mit einer Kultur der Agilität geprägt werden können. Agilität ist dabei mehr als eine Methode oder ein neues Werkzeug. Agilität soll als grundlegende Denkweise und Haltung verstanden werden – quasi als «Mindset» der Organisation. Denn dahinter steht ein grundlegend anderes Menschenbild als das, was leider noch in zu vielen Unternehmen und allgemein zu häufig im ersten Arbeitsmarkt vorherrscht. Oft ist man da der Überzeugung, dass der Mensch extrinsisch motiviert werden muss, weil er als schwach und unfähig sein Leben zu gestalten und zu verantworten angesehen wird. Resultate sind oft hoher Leistungsdruck und starke Überforderung der Einzelnen. Nicht so in agilen Organisationen. Sie sehen den Menschen als intrinsisch motiviert, der gerne und freiwillig arbeitet und Leistung bringt, der sein Leben selbst bestimmt und darin Sinn und Selbsterfüllung findet.
Schon seit unserer Gründung haben wir uns in der Streetchurch einem Menschenbild verschrieben, das jedem Menschen einen umfassenden Wert und eine unantastbare Würde zugesteht. Vieles von dem, was wir in den letzten Jahren lanciert und wofür wir uns bei vielen einzelnen Personen engagiert haben, war davon geprägt. Die Grundlage war also gelegt, als wir Ende des Jahres 2017 entschieden, uns noch stärker, fokussierter und nachhaltiger zur agilen Organisation zu entwickeln. Denn darin sehen wir das Potenzial, um uns auch in Zukunft umfassend und nachhaltig für die uns anvertrauten Menschen zu engagieren. Inspiration und Vorbild sind uns seither die rund ein Dutzend von Frederic Laloux untersuchten und von ihm so genannten «evolutionären Organisationen». Sie haben es geschafft, als lebendige Organismen in verschiedenen Branchen und in einer Welt voller Dynamik und Komplexität agil zu agieren.
Dabei stehen drei Prinzipien im Vordergrund: die Selbstorganisation, die Suche nach Ganzheit und der evolutionäre Sinn.
Drei Prinzipien, die wir nun auch in der Streetchurch stärken und etablieren.
Selbstorganisation bedeutet, dass hierarchische und bürokratische Pyramidenstrukturen durch ein vernetztes System verteilter Autorität und kollektiver Verantwortung ersetzt werden. Wir haben deshalb den ordentlichen Stellenbeschrieb abgeschafft. An seine Stelle treten flexible Rollen, welche von Mitarbeitenden und anderen engagierten Personen selbstverantwortlich übernommen werden. Rollen stärken das Bewusstsein aller Mitarbeitenden für die ihnen übertragene Verantwortung. Eine Verantwortung, die sie durch selbständige Entscheide umfassend wahrnehmen können. Einziges Kriterium: Sie lassen sich vor dem Entscheid von den vom Entscheid betroffenen Personen und von Experten beraten.
Mit dem Prinzip der Suche nach Ganzheit sollen sich die Menschen in einer Organisation wieder umfassend und ganzheitlich einbringen können. Nicht nur ein begrenztes und professionelles Selbst soll in den Alltag der Organisation eingebracht werden, sondern der Mensch als Ganzes, mit allen seinen Begabungen, Stärken, Schwächen und Herausforderungen. In einer Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens und der bedingungslosen Wertschätzung können sich Menschen so neu entfalten. Das gilt für unsere Mitarbeitenden genauso wie für die Teilnehmenden unserer Integrationsangebote. Ausprobieren, Neues wagen und dabei Fehler machen und zugestehen – das gehört selbstverständlich dazu.
Das Prinzip des evolutionären Sinns stellt schliesslich sicher, dass die Menschen in einer Organisation gemeinsam auf das hören, wohin sich die Organisation entwickeln will. Strategie und Planung sind nicht mehr allein die Aufgabe der Leitung. Diese muss nicht länger alleine die Zukunft vorhersagen und alle möglichen und unmöglichen Einflussfaktoren unter Kontrolle bringen. Auch in der Streetchurch gilt deshalb, dass sich alle Mitarbeitenden und engagierten Personen in die Weiterentwicklung der Streetchurch einbringen. Nicht nur einmal pro Jahr in einem moderierten Strategieprozess, sondern jeden Tag, jede Woche und jeden Monat bei vielen grossen und kleinen Entscheiden und Prozessoptimierungen im eigenen Verantwortungsbereich.
Wir haben uns auf den Weg gemacht, die Prinzipien einer evolutionären Organisationsentwicklung in unserem Kontext des sozialdiakonischen Engagements zu etablieren. Wir sind gespannt, wie wir damit die Grundlage legen, um auch in den nächsten Jahren in einer Gesellschaft voller Dynamik und Komplexität als Streetchurch unseren Beitrag leisten zu können.