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Face 2 Face

Nico über Pascal, Pascal über Nico

Pascal (36) ist Leiter der Arbeitsintegration in der Streetchurch, Familienvater von vier Kindern und träumt als Hobbysportler heute noch von einer Tenniskarriere.
Nico (23) war fast vier Jahre lang Teilnehmer im Trainingsprogramm Top4Job und absolviert heute eine Lehre als Logistiker EFZ. In seiner Freizeit schreibt er gerne Fantasy-Geschichten.

Pascal über Nico

«Meine erste Begegnung mit Nico war das Vorstellungsgespräch, als er sich für unser Trainingsprogramm Top4Job interessierte. Mir ist in Erinnerung geblieben, dass er immer sehr schnell sprach. Mit der Zeit verstand ich ihn mit seinem sehr schnellen Hochdeutsch immer besser. Auch, weil wir immer wieder gemeinsam Feedback- und Standortgespräche durchgeführt haben.
Es war meine Aufgabe, Nico als Coach zu begleiten und mit ihm vor allem seine Arbeitseinsätze als Fensterputzer auszuwerten. Dazu haben wir viele Kundenfeedbacks miteinander angeschaut und besprochen. Er bekam viele gute Rückmeldungen, gerade auch von älteren Personen. Da fand er immer einen guten Draht. Wir haben aber auch Rückmeldungen angeschaut, bei denen es um Verbesserung ging.
Im Rückblick kann ich sagen, dass Nico in der Zeit bei uns grosse Schritte gemacht hat. Im Umgang mit Kunden, bei der Qualität auf Arbeitsaufträgen und im Umgang mit Vorgesetzten hat er sich stark entwickelt.
An Nico beeindruckt mich seine Ausdauer! Er hat in den vier Jahren bei uns nie resigniert. Er hat über 500 Bewerbungen* geschrieben und wohl über 20 Schnupperwochen bei Lehrbetrieben absolviert. Auch bei uns war er sehr zuverlässig. Nie war er unpünktlich und hat nie unentschuldigt gefehlt. In all den Jahren hatte er nur einen Krankheitstag.
Seit Nico letzten Sommer seine Lehre gestartet hat, haben wir weniger Kontakt. Aber noch heute schreibe ich ihm alle paar Wochen per Whatsapp und frage nach, wie es ihm geht.
Ein toller Teil meines Jobs in der Streetchurch ist es, dass ich Personen wie Nico langfristig begleiten kann. Es ist schön zu sehen, wie sie einen Prozess durchlaufen und einfach genial, daran Anteil zu haben und sie zu ermutigen.»

Knapp 400 individuelle Titelblätter hat Nico zu seinen Bewerbungen gestaltet.

Nico über Pascal

«An meinem ersten Arbeitstag bei der Streetchurch habe ich mich verlaufen. Zum Glück hat mich dann einer der Mitarbeitenden auf der Strasse gesehen und hereingerufen.
Ich bin damals zur Streetchurch gekommen, weil ich eine Lehrstelle suchte. Meine Mutter hat ein Inserat gesehen und ich habe mich gemeldet. Ich habe dann als Fensterputzer gearbeitet. Kurz hatte ich auch mal mit der Psychologin der Streetchurch Kontakt. Aber vor allem habe ich gearbeitet und die interne Schule besucht.
Dort habe ich sehr viele Bewerbungen geschrieben. Dabei habe ich viel gelernt. Und vieles davon kann ich heute in der Berufsschule nutzen. Weil ich gelernt habe, wie man ein schönes Titelblatt für Bewerbungen gestaltet, konnte ich in der Lehre ein Merkblatt für Gefahrensituationen gestalten. In der Schule habe ich auch für die Berufsschule gelernt. Es hat genützt. Mein Lehrer meinte, dass ich im letzten Halbjahr der Klassenbeste gewesen sei. Das hat mich gefreut.
In der Streetchurch hat mich Pascal stark unterstützt. Wir hatten viele Gespräche. An die schwierigen kann ich mich eigentlich nicht mehr erinnern. Aber ich weiss noch, dass Pascal immer für mich verfügbar war, wenn ich ein Anliegen hatte. Er hatte immer ein offenes Ohr. Einmal hatte ich Schwierigkeiten mit einem Kunden. Da hat mir Pascal den Rücken gestärkt. Das habe ich sehr geschätzt.
Persönlich habe ich in der Zeit in der Streetchurch viel gelernt, was Qualität und Effizienz angeht. Meine Lehre dauert jetzt drei Jahre, und danach würde ich gerne im Betrieb bleiben. Mal schauen, ob das klappt.»

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Fachartikel

Organisationsentwicklung: Sinnstiftende Zusammenarbeit

Dynamik und Komplexität im Alltag bewältigen. Als Streetchurch befinden wir uns auf dem Weg zur agilen und evolutionären Organisation.

Seit 15 Jahren engagieren wir uns als Streetchurch im multikulturellen und urbanen Umfeld des Grossraums Zürich. Wir begegnen und begleiten tagtäglich Menschen, die in verschiedenen Lebensbereichen vor grossen Herausforderungen stehen. In diesem Kontext erleben wir ganz besonders, was allgemein für die heutige Welt gilt: Dynamik und Komplexität nehmen auf allen Ebenen zu. Schnelle und kurzfristige Veränderungen, Unsicherheiten und fehlende Klarheit, Doppel- und Mehrdeutigkeiten sowie Unvorhersehbares und zu viele Einflussfaktoren müssen im Alltag unter einen Hut gebracht werden. Darauf eine Antwort zu finden, fällt nicht nur den Teilnehmenden unserer Angebote schwer. Als ganze Streetchurch sind wir gefordert. Die Antwort auf diese Herausforderungen heisst Agilität. Der Duden definiert sie als «die Fähigkeit … flexibel, aktiv, anpassungsfähig und mit Initiative in Zeiten des Wandels und der Unsicherheit zu agieren». Ein hoher Anspruch an uns als Organisation, unsere Mitarbeitenden und alle unsere Ziel- und Anspruchsgruppen.

Der belgische Unternehmensberater Frederic Laloux illustriert in seinem Buch «Reinventing Organizations» einen Leitfaden für sinnstiftende und agile Formen der Zusammenarbeit. Er zeigt auf, wie Organisationen als lebendige Organismen mit agilen Strukturen, agilen Prozessen und ganz allgemein mit einer Kultur der Agilität geprägt werden können. Agilität ist dabei mehr als eine Methode oder ein neues Werkzeug. Agilität soll als grundlegende Denkweise und Haltung verstanden werden – quasi als «Mindset» der Organisation. Denn dahinter steht ein grundlegend anderes Menschenbild als das, was leider noch in zu vielen Unternehmen und allgemein zu häufig im ersten Arbeitsmarkt vorherrscht. Oft ist man da der Überzeugung, dass der Mensch extrinsisch motiviert werden muss, weil er als schwach und unfähig sein Leben zu gestalten und zu verantworten angesehen wird. Resultate sind oft hoher Leistungsdruck und starke Überforderung der Einzelnen. Nicht so in agilen Organisationen. Sie sehen den Menschen als intrinsisch motiviert, der gerne und freiwillig arbeitet und Leistung bringt, der sein Leben selbst bestimmt und darin Sinn und Selbsterfüllung findet.

Schon seit unserer Gründung haben wir uns in der Streetchurch einem Menschenbild verschrieben, das jedem Menschen einen umfassenden Wert und eine unantastbare Würde zugesteht. Vieles von dem, was wir in den letzten Jahren lanciert und wofür wir uns bei vielen einzelnen Personen engagiert haben, war davon geprägt. Die Grundlage war also gelegt, als wir Ende des Jahres 2017 entschieden, uns noch stärker, fokussierter und nachhaltiger zur agilen Organisation zu entwickeln. Denn darin sehen wir das Potenzial, um uns auch in Zukunft umfassend und nachhaltig für die uns anvertrauten Menschen zu engagieren. Inspiration und Vorbild sind uns seither die rund ein Dutzend von Frederic Laloux untersuchten und von ihm so genannten «evolutionären Organisationen». Sie haben es geschafft, als lebendige Organismen in verschiedenen Branchen und in einer Welt voller Dynamik und Komplexität agil zu agieren.

Dabei stehen drei Prinzipien im Vordergrund: die Selbstorganisation, die Suche nach Ganzheit und der evolutionäre Sinn.

Drei Prinzipien, die wir nun auch in der Streetchurch stärken und etablieren.

Selbstorganisation bedeutet, dass hierarchische und bürokratische Pyramidenstrukturen durch ein vernetztes System verteilter Autorität und kollektiver Verantwortung ersetzt werden. Wir haben deshalb den ordentlichen Stellenbeschrieb abgeschafft. An seine Stelle treten flexible Rollen, welche von Mitarbeitenden und anderen engagierten Personen selbstverantwortlich übernommen werden. Rollen stärken das Bewusstsein aller Mitarbeitenden für die ihnen übertragene Verantwortung. Eine Verantwortung, die sie durch selbständige Entscheide umfassend wahrnehmen können. Einziges Kriterium: Sie lassen sich vor dem Entscheid von den vom Entscheid betroffenen Personen und von Experten beraten.

Mit dem Prinzip der Suche nach Ganzheit sollen sich die Menschen in einer Organisation wieder umfassend und ganzheitlich einbringen können. Nicht nur ein begrenztes und professionelles Selbst soll in den Alltag der Organisation eingebracht werden, sondern der Mensch als Ganzes, mit allen seinen Begabungen, Stärken, Schwächen und Herausforderungen. In einer Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens und der bedingungslosen Wertschätzung können sich Menschen so neu entfalten. Das gilt für unsere Mitarbeitenden genauso wie für die Teilnehmenden unserer Integrationsangebote. Ausprobieren, Neues wagen und dabei Fehler machen und zugestehen – das gehört selbstverständlich dazu.

Das Prinzip des evolutionären Sinns stellt schliesslich sicher, dass die Menschen in einer Organisation gemeinsam auf das hören, wohin sich die Organisation entwickeln will. Strategie und Planung sind nicht mehr allein die Aufgabe der Leitung. Diese muss nicht länger alleine die Zukunft vorhersagen und alle möglichen und unmöglichen Einflussfaktoren unter Kontrolle bringen. Auch in der Streetchurch gilt deshalb, dass sich alle Mitarbeitenden und engagierten Personen in die Weiterentwicklung der Streetchurch einbringen. Nicht nur einmal pro Jahr in einem moderierten Strategieprozess, sondern jeden Tag, jede Woche und jeden Monat bei vielen grossen und kleinen Entscheiden und Prozessoptimierungen im eigenen Verantwortungsbereich.

Wir haben uns auf den Weg gemacht, die Prinzipien einer evolutionären Organisationsentwicklung in unserem Kontext des sozialdiakonischen Engagements zu etablieren. Wir sind gespannt, wie wir damit die Grundlage legen, um auch in den nächsten Jahren in einer Gesellschaft voller Dynamik und Komplexität als Streetchurch unseren Beitrag leisten zu können.